Geschichtsbuch: Weihnachten auf dem Schlachtfeld

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Geschichtsbuch: Weihnachten auf dem Schlachtfeld

NICK EICHER, MODERATOR: Heute ist Montag, der 23. Dezember. Guten Morgen! Das ist Die Welt und alles darin vom hörerunterstützten WORLD Radio. Ich bin Nick Eicher.

MARY REICHARD, MODERATORIN: Und ich bin Mary Reichard. Als nächstes folgt das WORLD History Book. An diesem Tag im Ersten Weltkrieg begann der Abendfrieden auszubrechen. Und noch eine Geschichte über die transzendente Macht Jesu Christi an einem Weihnachtsabend im Zweiten Weltkrieg. Hier ist Paul Butler von WORLD.

PAUL BUTLER: Am Heiligabend des Jahres 1914 herrscht Stille auf dem Schlachtfeld. Alliierte Soldaten verstecken sich für die Nacht. Im Niemandsland tun die Deutschen dasselbe und versuchen, sich warm zu halten. Die Kämpfe hatten schon Stunden zuvor aufgehört. Der deutsche Offizier Walther Stennes erinnert sich an den Tag. Audio aus Imperial War Museums.

WALTHER STENNES: Natürlich war es ungewöhnlich, dass auch die Gegenseite das Feuer einstellte. Dann kam mein Wachoffizier herein und sagte: „Erwarten Sie einen Überraschungsangriff?“ Denn es ist sehr ungewöhnlich, die Situation.“ Ich sagte: „Nein, das glaube ich nicht.“

In den ersten fünf Monaten des Ersten Weltkriegs kommt es gelegentlich zu Kampfpausen. Die Feinde bringen ihre Waffen zum Schweigen und lassen sich gegenseitig erholen und die Toten begraben. Manchmal tauschen die Seiten sogar Souvenirs aus. Entlang der Ostfront kommt es zu Verbrüderungen und willkürlichen Waffenstillständen. Aber sie sind stark lokalisiert und enden so schnell, wie sie begonnen haben, und die Soldaten kämpfen erneut gegeneinander, als wäre nichts passiert.

Ende 1914 befinden sich die Alliierten und Achsenmächte an der Westfront in Belgien in einer Pattsituation. Sie stecken in schlammigen Schützengräben fest, sind hungrig und frierend, beide Seiten sind von Bombenexplosionen und heftigen Schüssen taub.

Doch als am 24. Dezember die Nacht hereinbricht, hören die alliierten Soldaten ein ganz anderes Geräusch. Audio von Sainsbury’s.

WERBUNG: DEUTSCHE TRUPPEN SINGEN

Die Briten machen mit:

WERBUNG: ENGLISCHE SOLDATEN MACHEN MIT

Beide Seiten singen gemeinsam Weihnachtslieder. Der britische Soldat Marmaduke Walkinton, der in der Nähe der deutschen Schützengräben stationiert ist, brüllt über die Kluft hinweg ein paar Witze. Und die Deutschen schreien zurück. Dann sagt ein deutscher Soldat:

MARMADUKE WALKINTON: „Morgen schießt ihr nicht, wir schießen nicht.“ Und der Morgen kam und wir haben nicht geschossen, und sie haben nicht geschossen. Dann fingen wir an, unsere Köpfe zur Seite zu strecken und schnell nach unten zu springen, für den Fall, dass sie schossen, aber sie schossen nicht.

Hier noch einmal Audio von Imperial War Museums. Weiter unten an der Front bieten die Deutschen das gleiche Angebot an. Die Offiziere lehnen ab, weil sie glauben, dass die Anfrage eine Falle sei und die Truppen massakriert würden.

Doch am Weihnachtstag überdenken sie es noch einmal und geben ihren Männern grünes Licht. Alliierte Soldaten betreten langsam das Niemandsland, wo Soldaten der Achsenmächte warten. Sie tauschen Dosen mit Lebensmitteln, Zigaretten und Weihnachtsgrüßen aus. Es bilden sich Mannschaften, um Fußball zu spielen. Andere beten gemeinsam für die Toten. Audio aus einem Interview mit dem Soldaten J. Reid.

J REID: Wir tauschten Dosen mit Bully gegen ihre Dosen mit Fleisch und der Pater war draußen und unterhielt sich mit ihnen, sie begruben alle Toten, die dort waren, und wir begruben alle Toten – das ging etwa ein paar Tage lang so.

Als das Oberkommando vom Waffenstillstand erfährt, befehlen sie den Männern, in die Schützengräben zurückzukehren. Vorbei sind die Weihnachtslieder. Kein „Frieden auf Erden, Wohlwollen gegenüber den Menschen“ mehr. Wieder eröffnen Maschinengewehre das Feuer.

Das Ereignis wird zu einer Art Legende in der Militärgeschichte. Offiziellen Berichten zufolge legten an diesem Tag bis zu 100.000 Männer ihre Waffen nieder, um gemeinsam Weihnachten zu feiern … doch einige Skeptiker fragen sich, ob es wirklich in so großem Umfang passiert ist.

Im nächsten Jahr verbieten Beamte beider Seiten präventiv jegliche Art von Weihnachts-Waffenstillständen. Den Soldaten wird gesagt, dass sie wegen Hochverrats angeklagt werden, wenn sie versuchen, mit dem Feind zu kommunizieren. Doch trotz des Befehls verlängern einige Soldaten den Frieden an Weihnachten.

Als nächstes kommt ein weniger bekannter Weihnachtsfrieden, 30 Jahre später tobt der Zweite Weltkrieg – und die Einigkeit gehört der Vergangenheit an. Während der Ardennenoffensive überfällt die deutsche Armee eine dünne Linie amerikanischer Soldaten. Irgendwann verlieren drei alliierte Soldaten ihr Bataillon aus den Augen und wandern mehrere Tage lang umher – einer von ihnen mit einer Schusswunde. An Heiligabend stoßen sie auf ein Haus im Wald.

Eine deutsche Frau öffnet die Tür. Ihr Sohn Fritz Vincken kann sich noch genau daran erinnern. Darüber schreibt er später in seiner Kurzgeschichte: Waffenstillstand im Wald. Synchronsprecher Jon Gauger.

JON GAUGER: Draußen standen wie Phantome vor den schneebedeckten Bäumen zwei Männer mit Stahlhelmen. Einer von ihnen sprach in einer Sprache, die wir nicht verstanden, mit Mutter und zeigte auf einen dritten Mann, der im Schnee lag. Sie erkannte vor mir, dass es sich um amerikanische Soldaten handelte. Feinde!

Sie lässt sie herein. Die Vinckens beginnen mit der Zubereitung von Brathähnchen mit Kartoffeln … dann klopft es erneut an der Tür. Auch vier deutsche Soldaten haben sich verirrt und brauchen eine Bleibe. Fritz‘ Mutter erlaubt ihnen den Zutritt: unter einer Bedingung. Sie sagt: „Dies ist Heiligabend, und hier wird nicht geschossen.“

Die Soldaten stimmen zu, werfen ihre Waffen auf einen nahegelegenen Holzstapel und setzen sich zu den Amerikanern. Als Fritz‘ Mutter das Essen auf den Tisch stellt, spricht sie mit Tränen in den Augen ein Gebet.

JON GAUGER: Als ich mich am Tisch umsah, sah ich auch Tränen in den Augen der kampfermüdeten Soldaten, wieder Jungen, einige aus Amerika, einige aus Deutschland, alle weit weg von zu Hause.

Am nächsten Morgen, dem Weihnachtstag, holt ein deutscher Soldat eine Karte heraus und zeigt den Amerikanern auf einer Karte den Weg zurück zu ihrem Bataillon. Sie geben sich die Hand und gehen getrennte Wege.

Der Geschichte zufolge geht Fritz nach dem Abschied zurück ins Haus. Und er bemerkt seine Mutter mit der Familienbibel auf dem Schoß.

JON GAUGER: Ich warf einen Blick über ihre Schulter. Das Buch war aufgeschlagen für die Weihnachtsgeschichte, die Geburt in der Krippe und wie die Weisen von weit her kamen und ihre Gaben brachten. Ihr Finger zeichnete die letzte Zeile aus Matthäus 2:21 nach: „… sie zogen auf einem anderen Weg in ihr Land.“

Das ist das WELT-Geschichtsbuch dieser Woche. Ich bin Paul Butler.